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(un)Glaubliche Patienten

Ein literarischer Exkurs des Therapeuten auf unglaubliche Patienten

KROKODIL (Eintrag: 05.11.2012, © Marcus Schütz)

Auch am Sepik (PNG) sorgen die Frauen für den Lebensunterhalt ihrer Familien. Die Männer sitzen in den Haus-Tambaran, bewachen die heiligen Feuer, rauchen in Zeitungspapier gerollten Tabak, palavern, initiieren die Jungen und schnitzen ihre berühmten Masken...

GAMBOA (Eintrag: 05.08.2011, © Marcus Schütz)

Gamboa, ein ausgedientes Kanalarbeiterdörfchen liegt direkt am Panama-Kanal, auf halbem Weg zwischen Pazifik und Karibik. Die US-Einflusssphäre reicht deutlich bis dorthin, die Holzbaracken sind mit Standard™-Klos und Dusche ausgestattet. Aircondition hat nur der Computerraum mit Direktanschluss nach Washington D.C. und Internet, in den Wohnräumen propellern die Deckenventilatoren Tag und Nacht, unaufhörlich über den Korbmöbeln. Heute gehört das halbe Dorf dem Smithsonian Tropical Research Institute...

OLIGARCH (Eintrag: 04.08.2011, © Marcus Schütz)

Spitzt man seine Ohren im Berliner Omnibus, vernimmt man nicht mehr die Gassenhauer von damals; Türkisch klingt es von jedem Sitz. Max findet dit voll krass und Moritz hat sich längst aus dem Staub gemacht. Am Ku'Damm flanieren gestöckelt die christiandiorten Russinnen handynierend in Pelzen entlang, warten auf ihre edlen SUVs die sie vom Bummel zum nächsten Appointment transportieren. Am Schlesischen Tor duften Knoblauch und gebratenes Lamm aus dem Döner-Laden, das Starbucks-Café hat amerikanische Touristen zum Potsdamer Platz getragen, im Scheunenviertel wird wieder koscher gekocht, im Prenzlberg wird schwäbisch gesprochen und am Pariser Platz hält man es französisch wie einst. Gesternte Köche verwöhnen die oberen Zehntausend mit Gebratenem und Gesottenem zu den Ersten Bordelaiser Gewächsen...

ÄGYPTOLOGE (Eintrag: 29.07.2011, © Marcus Schütz)

Sie war eine meiner ersten Patienten in einer Praxis im Prenzlberg. Ich habe sie nie wiedergesehen. Ich habe sie wohl etwas vor den Kopf gestoßen. Ich erinnere auch gar nicht mehr, was der eigentliche Grund ihres Besuches war. Auf jeden Fall litt sie auch an einer Aspergillose. Ob sie denn als Ägyptologin noch nichts vom Fluch der Pharaonen gehört hätte...

PORSCHE (Eintrag: 25.07.2011, © Marcus Schütz)

Er hätte von meinen Wunderhänden gehört. Der junge Mann ist etwas dysplastisch, zu fett wollte ich noch nicht sagen. Er hat auch ausgeformte Muskeln. Ist überhaupt ein athletoider Typ mit brachiocephalem Schädel und Stiernacken. Rechte Schulter und Kopfschmerzen, sagt er. Das kriegen wir schon hin. Seine Eltern seien sehr wohlhabend. Haus und Garten so groß wie ein Park. Seine Eltern hätten ihr Geld aber immer sofort ausgegeben. Was denn meine Schweizer Uhr gekostet hätte. Es müsste schon eine Rolex sein, sagt er. Die Markenjagd der Möchtegerns und Neureichen...

GRANATSPLITTER (Eintrag: 20.07.2011, © Marcus Schütz)

Eine alte Dame sitzt mir gegenüber. Alt wie gesagt, rundlich, schwerfällig. Sie hat sich bis in den vierten Stock hoch geschleppt und japst noch nach Luft, wie ein Goldfisch in einem zu kleinen Aquarium. Wie ich ihr denn Helfen könne. Sie schaut mich merkwürdig an, ihr Blick ist irgendwie gebrochen. Es sind die Knochen, sagt sie. Da bin ich Spezialist. Sie will aber keine Behandlung. Sie will meinen Rat. Sie sei immer zur Kur gefahren. Ja, da gibt es heute gute Möglichkeiten. Schon im Mittelalter sind die Leute nach Bad Wilsnack gepilgert, denke ich, um durch den Anblick der blutenden Hostien geheilt zu werden. Oft war die kleine Kirche so voll, dass die meisten Pilger nicht einmal das Innere des heiligen Raumes geschweige denn die Hostien zu Gesicht bekamen...

VIERTES ROM (Eintrag: 16.07.2011, © Marcus Schütz)

Als sich 988 der Kiewer Großfürst Wladimir in Anna von Byzanz, Schwester von Kaiser Basileios II. von Konstantinopel verliebte, musste der heidnische Großfürst den orthodoxen Glauben annehmen, um die Pupurgeborene heiraten zu dürfen. In einer folgenden Massentaufe der Rus am Dnjeper beendet er das Heidentum in Russland. Als Zeichen, dass nun der orthodoxe Glauben an Russland übergegangen war, sendete der Legende nach der byzantinischen Kaiser Konstantin Monomach eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Kopfbedeckung nach Russland. Mit dieser Schapka Monomacha krönte sich Iwan der Schreckliche 1547 zum Zaren von Moskau und aller Russen. Moskau wurde „Drittes Rom“. Die russischen Zaren taten es den römischen Cäsaren nach, mit ausschweifenden Gelagen: Champus aus Crystal-Flaschen, Kaviar rot und schwarz, haufenweise Nachtigallenzungenragout und natürlich der lustvollen Penetration eines ganzen Staates von Hofdamen. Das „Zweite Rom“ war 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen untergegangen...